Sonntag, 15. Januar 2012

Ein Jahr Später

Ein letzter Post sollte es vielleicht doch noch sein, jetzt, nachdem ich nun ein Jahr lang wieder auf deutschem Boden bin. Vor einem Jahr kam ich recht erschöpft und aber doch glücklich über die Heimkehr in Berlin an, was ja, technisch gesehen, nicht mein Zuhause ist, aber doch sicher schon am Begriff selbst näher dran ist als es Dublin je war. In diesem einen Jahr ist viel passiert, und zu Weihnachten gab es dieses mal gar keinen Schnee, obwohl ich es nach Hause geschafft hatte. Es war also ein rundum entspanntes, familiäres, lautes Weihnachtsfest wie eh und je (in vielerlei Hinsicht) und es konnte in dem Sinne als Fest gefeiert werden. Natürlich brachte es Erinnerungen zutage, die ich erwartet hatte; ich hielt auch weiterhin noch Kontakt mit anderen, die ich am Flughafen kennen gelernt hatte und die nun auch wieder in ihren Heimatstädten waren. Mit zweien hatte ich mich im Laufe des Jahres auch getroffen; erst war ich nach Eisenach gefahren, um das Mädchen mit dem kaputten Fuß zu treffen (der inzwischen vorbildlich verarztet wurde und heilen kann) und später ging es nach Kassel. Während Eisenach nach 10 Jahren das erste mal wieder auf dem Programm eines Tagestrips stand, besuchte ich Kassel zum ersten mal. Beide Flughafenmitstreiter waren ebenso wieder angekommen, Rica war inzwischen auch wieder auf der Grünen Insel gewesen. Der Kontakt zu meiner irischen "Gastfamilie", die mich zu Silvester 2010/11 so herzlich aufnahm, habe ich weiterhin den besten Kontakt und werde sie auch baldmöglichst wieder besuchen. Irland muss im Frühling traumhaft sein!
Was mir in Deutschland auf jeden Fall fehlt, ist der sprachliche Anspruch, etwas in eine Kommunikationssprache übersetzen zu müssen, weil mein Gegenüber meine Muttersprache nicht beherrscht. Dennoch geht das Studium mehr schlecht als recht weiter und ich sehe mich schon wieder nach Auslandsreisen suchen, für die Zeit zwischen den Studiengängen, weil auf jeden Fall eine Lücke entstehen wird, die es zu füllen gilt, wenn ich nicht bleiben kann, wo ich bin. All dies gilt es noch zu entscheiden und doch scheine ich dieser Entscheidung unmittelbar gegenüber zu stehen. Es ist viel von der halben Unsicherheit geblieben, die in Irland auf der Tagesordnung stand. Viele der Lieder, die mich in Irland begleitet haben (u.a. von Glen Hansard/ Marketa Irglova(OST Once), Stanfour, Plain White Ts und später auch Adele(21)), kann ich inzwischen wieder hören, sie wecken aber den Wunsch, zurück zu reisen und neue Erinnerungen für bekannte Gegenden zu schaffen. Erinnerungen nur für mich, weil ich mit der Reise nach Irland einen Wunsch erfüllen wollte, der im Zuge eines Studienaustausches nicht zu realisieren war. Ein Jahr später also kann ich schon wieder darauf hoffen, das Land bald wieder zu entdecken, dieses mal ohne die vorherige zeitliche Begrenzung, die alles in Irland entstandene zu haben schien. Manche Freundschaften z.B. konnten nicht gehalten werden, dagegen hielten andere wie von allein, was dazu führte, dass ich Besuch aus Paris bekam, der nicht nur Leipzig, sondern auch Dresden entdecken wollte. Wir hatten im August wenige warme Tage, die aber für einen Tagestrip nach Dresden reichten, der Franzose wollte auch noch mehr sehen und lud im Gegenzug nach Paris ein. Jedes Wiedersehen mit Mitstreitern aus Irland weckt die Sehnsucht nach der Insel, wobei ich in so großer Gruppe ungern wieder reisen würde. Die Bilder habe ich immer noch nicht vollstädig sortiert, manche haben auch keinen Platz mehr in den Alben, wobei eine Entfernung einzelner Elemente wohl dazu führen könnte, dass die gesamte Geschichte verklärt würde. Was in Irland passierte, hatte dort ein Stück weit seine Berechtigung, muss aber auch unter dem Gesichtspunkt gesehen werden, dass im Vakuum des Auslands, in der Schwerelosigkeit der Fremde, jeder die Möglichkeit hat, sich selbst neu zu erfinden, also alltägliche Störfaktoren auslassen kann, um neue Freundschaften auf wackeliger Basis zu knüpfen. Das Ausland bietet also nicht nur Grund und Boden für einfachere Kommunikation, sondern auch die Gefahr, selbst frei und losgelöst zu erscheinen, also auf eine Art anders und selbstfremd.
Inzwischen ist auch eine Freundin aus dem Ausland zurück gekehrt, welche mit der Uni vor Ort ebenso schlechte Erfahrungen gesammelt hat wie ich. Aber auch sie zählt es zum Ausland und zu den Vor- und Nachteilen desselben. Es bleibt also ein Jahr später zu sagen, dass Glorifizieren und Aussortieren nicht hilft, aber neue Erfahrungen im selben Land vielleicht schon. Mir bleibt zu schließen mit dem Satz, dass ich Irland nicht bereue - ich habe nur das Entdecken der Insel noch nicht abgeschlossen.

Mittwoch, 26. Januar 2011

Wiedersehen und ein dritter Opa

Endlich war es soweit, der Tag war da und ich durfte nach Hause. Endgültig dieses mal, denn die Prüfungen waren vorbei. Diese hatten sich recht leicht abhandeln lassen, wie ich fand, doch es mochte sein, dass ich mich einmal mehr verschätzt hatte und die Ergebnisse, die ich erbracht hatte, nicht dem entsprachen, was man sich unter der Lösung vorgestellt hatte. Nach der Prüfung des Fachs „Englisch als Fremdsprache“ kamen nur noch die Kulturstudien, die ich eher weniger theoretisch in Angriff nahm, indem ich die Themen auswählte, zu denen keine lange Erklärung notwendig war und auch keine Biografie dessen, der dieses Kulturphänomen erstmals beschrieben hatte. Als ich das letzte mal im ITT war, fiel mir der Abschied nicht wirklich schwer und das beruhigte mich.
Für Sonntagmorgen hatte ich ein Taxi bestellt, denn um halb sieben fuhr noch kein Bus, der mich zum Square hätte bringen können, von wo aus ich den Flybus zum Flughafen nehmen wollte. Das Taxi kam zehn Minuten zu früh und das machte mich erst stutzig, weil ja auch der erste Abflugversuch im Dezember mit einem einwandfreien Morgen begonnen hatte. Am Square angekommen, stand ich nun mit meinem Gepäck, sah die Lichter in der Ferne an den Bergen leuchten und der Wind pfiff mir kräftig um die Ohren. Auch der Flybus kam früher und da der Fahrer nicht nochmal ins Square wollte, konnte ich gleich einsteigen und hatte es etwas wärmer. Außerdem frühstückte ich so wesentlich entspannter, auch wenn mir die Aufregung ab und an den Magen zuschnürte. Ich hatte mich nach Weihnachten so daran gewöhnt, dass ich nicht weg kam und dagegen auch nichts tun konnte, dass ich eher stagniert hatte und nun kam aber doch der Moment, indem ich das letzte mal das Square verließ. Bis zum Flughafen machte ich immer mal wieder die Augen zu, denn in der letzten Nacht hatte ich lange wachgelegen, teilweise vor Aufregung, teilweise, weil ich noch so viele Gedanken hatte zu der Party vom Vorabend, bei der ich mich von einigen wohl für immer verabschiedet hatte und bei einigen aber zumindest mit der Aussicht auf weiteren Mail-Kontakt, den ich auch aufrecht erhalten wollte.
Der Flybus fuhr pünktlich ab, fuhr die übliche Runde (die ich nun schon einmal mehr kannte, als mir lieb war) und landete auch pünktlich am Flughafen, den ich ungern betrat, heut doch aber hoffentlich zum vorerst letzten mal. Die Halle war ungewohnt leer und am Schalter hatte ich mein etwas überdimensionales Handgepäck noch auf dem Rücken, checkte also nur den Koffer ein und machte mich dann auf den Weg durch die Sicherheitskontrolle.
Ich hatte mal wieder vergessen, nachzusehen, zu welchem Gate ich musste, aber dank des letzten Ryanair-Fluges wusste ich noch ungefähr, wo ich hinmusste, dieser hatte nämlich die gleiche Flugnummer gehabt. Ich schlenderte etwas lustlos durch das ein oder andere Geschäft und bemerkte vor dem Gate, dass gerade der ERASMUS-Student dort auch abfliegen wollte, der aus derselben Stadt kam wie ich und den ich vor Irland auch schon in der einen oder anderen Vorlesung gesehen hatte. Da er mich nicht sah und er mit seiner Mutter dort war, wollte ich auch nicht weiter stören, sondern holte mir lieber noch eine kleine Flasche Wasser und machte mich beim Öffnen des Gates auch auf den Weg in die Schlange. Leider hatte man hier kein Verständnis für meine reichliche Packweise und alle Extras, wie den Regenschirm und das Kissen, welche noch an den Seiten des Rucksacks baumelten und so wurde ich angewiesen, den Rucksack noch einzuchecken. Gleich jetzt und gleich hier. Und am besten sollte ich in Bar bezahlen. Nun hatte ich aber kein Bargeld mehr. Meine Kreditkarte hatte schon im November den Geist aufgegeben und über die EC-Karte rümpfte die Angestellte nur die Nase. Ich hoffte insgeheim schon, dass sie nicht mitflog, weil ich ihr grumpig verzogenes Gesicht nicht zwei Stunden lang angucken wollte. Da ich nun nicht bezahlen konnte, fragte ich sie, ob sie wisse, wo der nächste Geldautomat war. Sie erwiderte noch grumpiger, sie wisse es nicht, aber es gäbe einen am anderen Ende des Flughafens. Zwei andere Mitarbeiter waren etwas netter zu mir, während Miss Grumpy andere Passagiere vom Einsteigen abhielt und ihnen auch trotz kleiner Millimeter (nicht wie bei meinem Gepäck ein riesiger Verstoß gegen sämtliche Handgepäck-Normen) die Extra-Gebühr aufbrummte. Nach mehreren Shops, von denen keiner das Cash-Back-Verfahren nutzte, joggte ich also los in Richtung anderes Ende. Beim Rennen fiel mir nochmals ein, warum ich Leichtathletik immer gehasst hatte und am Geldautomaten schienen mehrere Leute anzustehen, was mich beunruhigte. Dann gehörten sie aber doch alle zu einer Gruppe, ich konnte mein Geld holen und rannte wieder zurück, wobei ich überlegt hatte, den einen Airport-Mitarbeiter anzusprechen, der alte Leute und weniger Gehfähige zu ihren Gates brachte, aber vermutlich hätte ich länger mit ihm diskutiert, wenn ich es darauf angelegt hätte. Demnach war ich nach gefühlten 10 Minuten in der Nähe des Gates, während bereits mein Name ausgerufen wurde, da ja das Flugzeug ansonsten schon besetzt war. Das kam mir etwas hämisch vor, war ich doch schon in Sichtweite. Ich bezahlte knirschenden Zahns die Extra-Gebühr und begab mich zum Flieger, in dem ich einen Platz neben einer Mutter mit ihrem Kind fand, leider nicht am Fenster. Bald darauf begann das Flugzeug zu rollen, ich wusste nicht mehr so recht, ob ich noch wusste, wie sich Fliegen anfühlte und kurz vor Abflug bekreuzigte sich die Mutter neben mir. Innerlich war mir nach Beten, denn diesen Flug musste ich durchstehen und dann war es erstmal gut mit Fliegen. Eineinhalb Stunden lang war mir unwohl und die restlichen paar Minuten machte ich die Augen zu, bevor wir zwanzig Minuten eher landeten als geplant. Es musste ein wenig Rückenwind gegeben haben, als wir von Irland losgeflogen waren, als ich also endlich von der Insel wegkam. Ich schien zu rennen, als ich (ohne Handgepäck) den Gang entlangstürmte; in Richtung Ausgang – Richtung Mama. Mein Gepäck hatte ich schnell wieder und war dann wieder schnellen Fußes unterwegs und sah sie bald vor mir. Da sie wegsah, nutzte ich die Gelegenheit aus den letzten zehn Metern zwischen uns nur noch zwanzig Zentimeter zu machen, bevor ich sie und sie mich endlich wieder hatte.
Mit dem Einsteigen ins Auto sollte es noch zu ihrem Vater gehen, den ich jahrelang nicht gesehen hatte und auf den ich sehr gespannt war. In der selben Stadt wohnten auch meine Großeltern väterlicherseits, die wir zuerst heimsuchten. Bald darauf ging es zu meinem anderen Opa, dem ich zwar real begegnete, während unseres Besuches aber hatte ich das Gefühl, ich sei nicht ganz anwesend. Das alles war ein bisschen viel auf einmal, zumal ich heute Morgen noch in Tallaght aufgewacht war. Ich hörte mich – änhlich wie vor dreieinhalb Jahren nach meiner Ankunft aus Amerika – reden und Antworten, ganz wach beim Gespräch dabei, aber irgendwie passiv. Als würde ich mich dabei nur beobachten. Nach einem Kaffe und einer langen Unterhaltung über Irland, zweisprachigen Alltag und Waldorfpädagogik ging es nach Hause, zu zwei kleinen ungeduldig wartenden Geschwistern und meinem Vater, den ich im November an der Bushaltestelle in Dublin das letzte mal gesehen hatte. Ich war zuhause, letztendlich wirklich und ganz und gar. Ich blieb noch drei Tage, besuchte meine alte Schule, als ich meine Schwester aus dem Hort abholte, hörte mich mehrmals von Weihnachten und einem dennoch schönen Jahresübergang erzählen und schon fast mochten die bösen Erinnerungen schwinden, bevor ich mich mitten in der Woche aufmachte, um mein Zimmer in Leipzig wieder zu beziehen und dort meinen vorherigen Alltag wieder in Angriff zu nehmen.

Nach Irland geht es wohl erstmal nicht wieder, Weihnachten wird von nun an intensiver genossen und ich werde sicher nichts von dem vergessen, was mir dort passiert ist, auch wenn mich mein Studienalltag noch eine Weile in Ruhe und hier ankommen lässt. Ein sehr schräges Semester ist also damit zuende, in dem alles mögliche passierte und keine Chance ausgelassen wurde, mir Irland von jeder erdenklichen Seite zu zeigen. Nach wie vor ist es eines der Länder, die eine wunderschöne Landschaft und sehr viel Geschichte in Ort und Stein zu bieten haben, aber auch eines der Länder, in denen ich nicht dauerhaft wohnen möchte, weil mir Dinge wie das Gesundheitssystem, die Infrastruktur und Reaktion auf Wetteränderungen nicht gefallen. Die allgemeine Einstellung, in Irland habe man Zeit, ist sicher nicht schlecht für jegliche Urlaubspläne, solange man Weihnachten tatsächlich in Dublin verbringen möchte, mir aber fehlte dort ein wenig Tempo auch im Denken eines ganzen Volkes, das zwar an anderem interessiert ist, mit Veränderung aber nicht umgehen kann. Demnach also geht die Suche nach einem Ort weiter, an dem man alternativ leben könnte. Und sei es nur das „könnte...“

Danke an dieser Stelle an alle Leser, an alle, die mich unterstützt haben und die dabei waren, jene, die an mich gedacht haben und das alles zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht haben! Danke!

Sonntag, 16. Januar 2011

New Year's Eve und meine Reise quer über die Insel

Als ich am Flughafen festhing, zitterte unter anderem eine irische Freundin mit, ob ich nun nach Hause käme oder nicht. Da dies nicht der Fall war und ich wieder nach Hause fuhr, fragte Emma, ob ich denn auch Silvester in Firhouse verbringen würde, beziehungsweise, ob ich sie nicht gleich besuchen wollte. Sie hatte immer von ihrem Zuhause im Westen der Insel geschwärmt und so nahm ich die Einladung gern an, ich fragte auch, ob ich Neujahr dort verbringen konnte, auch wenn ich noch keine Ahnung hatte, wo genau Castlebar war, sie sagte nur immerzu, sie würde „runter“ fahren. Ich vermutete also rein kontinental, es sei südlich. Aber wie in einigen anderen Kulturen mit wenig städtischem Leben, war „runter“ („down“) lediglich außerhalb der Hauptstadt. Castlebar liegt im Westen der Insel, knappe 80 Autokilometer nördlich von Galway und ist eine der kleineren Städte, von denen es viele in Irland gibt. Zusammen mit Galway teilt man sich das Technische Institut, wobei weniger Studenten nach Castlebar kommen, es sei denn, sie surfen gern.
Nachdem ich wusste, wann mein Zug fuhr, plante ich die Reise zum Bahnhof, der in der Nähe des Zentrums war. Dies an sich war auch noch mal ein Abenteuer; die Optionen waren entweder mit dem Bus ins Zentrum zu fahren, was ungefähr eineinhalb Stunden gedauert hätte oder aber mit dem Bus zur LUAS und mit dieser dann ins Zentrum, ungefähr eine Stunde lang insgesamt. Ich entschied mich für die Transportmittel-Kombination. Als ich am Bahnhof ankam, war es bereits zehn Minuten vor halb vier. Ich sah auf der Anzeigetafel, wo man einsteigen sollte, wenn man nach Westport wollte und wo, wenn es nach Galway gehen sollte. Nach Westen fuhr also nur ein Zug. Ich versicherte mich an der Information, dass es tatsächlich keine Vergünstigungen gab, wenn man nur Student war und keine TravelCard besaß. Ich entschied mich schließlich für ein Hin-und-Zurück-Ticket (dass es nicht „there and back again“ hieß, mochte daran liegen, dass es weder Neuseeland war noch England), das den extrem hohen Preis der Einzeltickets nur wenig relativierte. Im Zug fragte ich noch einmal eine ältere Dame, ob ich im richtigen Wagon sei und wusste auch nicht so recht, ob ich stricken, lesen oder erst einmal etwas essen sollte (normaler weise die erste Amtshandlung, sobald ich im Zug saß). Ich versuchte, alles irgendwie zu organisieren, das jedoch fiel mir schwer, da mich diese Art Zug verwirrte. Die ersten zwei Kilometer schaukelte er nur und ich fragte mich, ob dies die ganze Zeit so gehen würde. Es wurde ein wenig besser, als der Zug im Tempo etwas anzog, jedoch vermisste ich eine nennenswerte Geschwindigkeit. Immer wieder stand an der Anzeige auch die Entfernung zur nächsten Station und der Zug hielt zuerst in Portalington, offenbar ein sehr kleines Städtchen, wenn überhaupt. Zu der Zeit war es noch etwas heller, dank der Wolkendecke jedoch sah man bald nichts mehr von der Landschaft, die auch teilweise neben der Bahnstrecke verschwand, hinter Bäumen oder Erdwällen. Die ältere Dame sah mir erst beim Stricken zu und erzählte später, wie schrecklich sie ihre 15stündige Reise über die Insel gefunden hatte, um von einem Ort zum anderen zu kommen und sie hätte auf Bahnhöfen zwei Stunden auf Züge warten müssen. Meine Flughafengeschichte wollte mir von der Zunge springen, ich schluckte sie jedoch wieder hinunter und ließ sie ihre Geschichte unzumutbar finden. Ich beneidete sie ein wenig, weil sie in dem Land war, in dem sie sein wollte. Da die Stationen beim Beginn der jeweiligen Bremsstrecke angesagt wurden, bemerkte ich recht spät, dass wir im Begriff waren, Castlebar zu erreichen. Auf dem Bahnsteig wimmelte es kurz, wie für kleine Bahnsteige üblich und dann waren fast alle weg, aber eine zierliche Gestalt mit einer Wackelaugen-Bärchenkopf-Mütze wartete noch --- Emma! Sie grinste breit, umarmte mich und stellte mir dann ihr Michael-Schumacher-zu-Ferrari-Zeiten-rotes Auto vor. Sie zeigte mir erst noch die Stadt in nach-weihnachtlicher Ruhe und Beleuchtung und dann ging es nach Turlough, einem Dörfchen außerhalb von Castlebar. Als wir das Haus betraten und ins Wohnzimmer kamen, stand mir mit einem mal Ann gegenüber, Emmas Mutter. Sie begrüßte mich sehr herzlich, hieß mich willkommen und meinte nochmals, wie sehr es ihr leid tat, dass ich zu Weihnachten nicht hatte heimkehren können. Hätten sie dies eher gewusst, hätte ich auch Weihnachten gern schon hier verbringen können. Zunächst aber sollte Emma mir das Gästezimmer zeigen und dann sollte es bald essen geben, nachdem ich auch Patrick, Emmas Vater, die Hand geschüttelt hatte. Das Zimmer befand sich im oberen Stock, Emmas Zimmer gegenüber und wie die anderen Schlafzimmer auch und für irische Häuser eigentlich üblich. Zum Abendbrot gab es reichlich gute Heimkost, Emmas Mutter war sich erst nicht sicher gewesen, ob ich Curry mochte und nachdem ich Emma beobachtete, waren ihre Sorgen nicht ganz unberechtigt. Emma mochte kein Curry. Und auch kein Gemüse.
Nach einem hervorragenden Essen ging es in die Show eines irischen Magiers, wenn man so wollte. Keith Barry gab sich heute Abend die Ehre im Royal Theatre. Er vollführte erstaunliches mit dem Publikum und holte am Ende auch zwanzig Leute auf die Bühne, die im Hypnose-Zustand einiges erlebten. Steigernd ging es erst um Zustände wie Hitze oder Kälte, später wurde mit „Instrumenten“ musiziert, eine Probandin vergaß per Knopfdruck ihren Namen und dann waren alle männlichen Teilnehmer plötzlich hochschwanger und lagen in den Wehen. Einer von ihnen erwartete sogar Zwillinge und Emma kannte ihn persönlich. Als Mr Barry jedoch die Teilnehmer dazu brachte, bei seinem Händeschütteln einen Orgasmus zu durchleben, ging das etwas zu weit. Das Publikum johlte fröhlich auf und offenbar traf es nur den Geschmack der Iren. Sein Abschiedsgeschenk war, dass alle Teilnehmer dachten, sie hätten im Lotto gewonnen, aber nur solange, wie sie sich im Theater aufhielten. Nach der Show ging es noch in den dem Theater zugehörigen Club, wo ich Emmas Bruder Lee kennen lernte, und bald darauf auch wieder nach Turlough zurück.

Wie Emma mir am nächsten Tag zeigte, erkannte man in dieser Gegend die protestantischen Kirchen, die alle viel zu ähnlich waren, an den viereckigen Türmen und der eher schlichten Architektur, während die katholischen Kirchen und Kathedralen weit prunkvoller ausgestattet und ausgeformt waren. Wir machten eine Tour durch die Stadt, redeten über Gott und die Welt und fuhren in der Gegend umher. Wir besuchten das Museum, das nicht weit von Emmas Elternhaus entfernt war, und dessen Parkanlage im Sommer strahlend schön sein musste, während wir momentan nur einen schwachen Glanz erfassen konnten, der See allerdings war noch gefroren und deutete an, wie schön dies auch alles im Schnee liegen konnte. In Castlebar holten wir am Nachmittag zwei großen Kartons und zwei Tüten ab, in denen sich die lang ersehnten Hoodies befanden, auf denen das ITT-Logo war, die jeweilige Heimatflagge des Hoody-Besitzers auf dem rechten Arm und die irische auf dem linken. Auf dem Rücken war „Erasmus Dublin 2010“ zu lesen. Bei Einbruch der Dunkelheit erreichten wir Westport, das man wohl bei Tageslicht bewundern konnte, das wollten wir uns noch aufheben für einen anderen Tag, denn nun war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich am ersten Januar schon fahren wollte, so wie zunächst geplant. Zum Abendessen waren wir wieder da und diesmal gab es Truthahn und die Frage, ob es denn in Deutschland so etwas wie ein traditionelles Silvesteressen gäbe. Ich konnte mich keines Gerichts entsinnen, erzählte aber von den familiären Traditionen.
Der Abend kam und da es in Deutschland schon eine Stunde eher soweit war, rief ich meine Mutter zum neuen Jahr an. Sie erwiderte den Anruf eine Stunde später, als wir gerade mit Traubensaft-Sprudel anstießen. Emmas und meine Mutter unterhielten sich kurz und dann sprach ich nochmals mit ihr. Sie war froh, dass ich gut aufgehoben war und Emmas Mutter verstand das sehr gut. Wir gingen morgens um eins nach oben und saßen noch lange auf Emmas Bett mit all ihren Plüsch-Affen, wie auch die Nacht zuvor. Mit der Außenwelt wurde kommuniziert und dann ging es in den Neujahrsschlaf. Ich wollte ungern spät aufstehen, stellte mir aber trotzdem keinen Wecker.

Am nächsten Tag ging es, wie auch am darauffolgenden Tag nach draußen, es gab immer etwas zu sehen, zu fotografieren oder die Hoodies zu sortieren, was schwierig wurde, da scheinbar alle Franzosen dieselbe Idee gehabt hatten, nämlich, einen schwarzen oder „french navy“-farbenen Hoody zu bestellen. Nach einiger Zeit meinte Emma, sie sei farbenblind und könne blau und schwarz nicht mehr unterscheiden. Nachdem wir abgehakt hatten, was da war von der bestellten Menge, begann Emma, die Hoodies mit Namensschildern zu versehen. Dies war eigentlich eine Wissenschaft für sich, aber mit Hilfe ihrer doch noch aufgetauchten Liste ließ sich das in wenigen Stunden abhandeln, auch wenn wir zu zweit waren. An einem Abend besuchten wir Emmas Großmutter, um sie zum Kaffee abzuholen und den Sonntag bei einem netten Plausch ausklingen zu lassen. Zunächst war noch einer von Anns fünf jüngeren Brüdern mit Frau und Kind dort, später kam auch noch einer der anderen kurz vorbei. Recht bald danach machten wir uns auf den Weg zum Hotel in Westport, um dort Sandwiches zu essen. Dabei unterhielten wir uns über mein Weihnachtsfest am Flughafen und andere kulturelle Differenzen zwischen Irland und dem restlichen Europa. Auch von Emmas Oma kamen noch die besten Wünsche für meine baldige, vorerst endgültige Abreise. Wir fuhren zurück nach Turlough und Emma und ich kommunizierten halblaut über Musiktitel, die gerade im Radio liefen und was wir damit verbanden, bevor wir wieder auf dem Bett mit den Affen saßen und „John Tucker Must Die“ sahen, weil wir beide ein bisschen muffig waren und sie diesen Film zur Tradition für solche Situationen gemacht hatte.
Als wir am dritten Januar aufbrechen wollten, verzögerte sich unsere Abreise noch, da wir versuchten, Emmas Sachen (reichliches Gepäck), alle 70 Hoodies und auch meinen Kram noch unterzubringen, in einem Zweisitzer. Als das bewältigt war, machten wir uns eine Stunde vor Sonnenuntergang auf den Weg, mit den besten Wünschen von Emmas Eltern und der Bitte, doch wieder zu kommen, gern auch mit meiner Mutter zusammen.
Wir fuhren durch eines der größeren Counties und als wir das geschafft hatten, war es nicht mehr weit bis zum fast unbeleuchteten Motorway, von dem aus man fast den ganzen Sternenhimmel sehen konnte. Wir hielten bei einer Art Rasthof an und redeten so lange, dass wir fast vergaßen, wie spät es dabei wurde. Wir luden die Hoddies bei Emma ab und dann zeigte ich ihr, wo ich wohnte, als sie mich heimbrachte. So ging ein wundervolles langes Wochenende zuende, das ich so nie erwartet hatte, dass mir aber Kraft gab, nachdem ich Weihnachten viel davon verloren hatte. Das College und seine Prüfungen konnten also losgehen.

Freitag, 31. Dezember 2010

Castlebar, County Mayo

Hallo zusammen :)
nach einer absolut großartigen Nachtruhe und einem entspannten Frühstück geht's nun gleich in ein National History-Museum, danach habe ich vielleicht Zeit von der Reise gestern und dem wundervollen Abend zu berichten ... nun aber erstmal nachschauen, was die Iren im County Mayo so zu bieten haben!

Donnerstag, 30. Dezember 2010

I saw everybody leaving ...

Es wurde leerer und leerer auf dem Flughafen, als am Heiligabend die Schalter der Fluglinien schlossen und es waren immer weniger Menschen, die ich wirklich kannte, obwohl mir immer mehr Gesichter bekannt vorkamen. Als ich den Flughafen in Richtung Carlton Hotel verlassen hatte, kamen mir mehr und mehr Gedanken zu meiner tatsächlichen Situation, vor allem, weil ich ganz genau wusste, dass Weihnachten war und es doch nicht ganz merkte. Ich wusste, wann meine Familie wo war und was genau sie tun würde, wie letztes Jahr und die Jahre vorher. Ich hielt es zeitweise für eine Schutzfunktion meines Bewusstseins, dass mir nicht allzu bewusst war, dass ich nun nicht zuhause war und nicht sein könnte und dies aus einem Grund, an dem sich von meiner Seite absolut nichts ändern ließe.
Nach zwei Tagen im Hotel und nachdem auch Thomas weg war, kannte ich nun niemanden mehr im Hotel und wollte nur noch nach Firhouse fahren und meine Ruhe haben von all dem, was in der Zwischenzeit passiert war. Auf dem Rückweg vom Flughafen sah ich das ein oder andere Flugzeug abheben, hatte auch eben noch mit zwei weiteren Deutschen am Busparkplatz sprechen können, die beide nach vier Stunden Warteschlange beide noch einen Flug ergattert hatten, einer sogar noch für den selben Tag.
 Über die Autobahn ging es direkt zurück nach Tallaght, da keiner der Passagiere des „FlyBus“ vor der Endstation aussteigen wollte. Am „Square“ angekommen, wartete ich mit dem schweren Koffer auf einen der Stadtbusse, um nach Firhouse zu fahren. Von der Bushaltestelle am Supermarkt aus wollte ich den Koffer noch nach Hause tragen, jedoch war dies mitsamt dem vielen Schnee nicht leicht. Ein Stück des Wegs konnte ich auf der Straße gehen, die wenigstens halbwegs ausgefahren war und auf der der Koffer doch etwas besser rollte. Bald aber kam der Abzweig, auf dem nicht mehr geräumt war und ich hievte den Koffer in den Schnee
und dann Stückchenweise über den Gehweg. Keine hundert Meter weiter war die Einfahrt zum Supermarkt und ein älterer Herr in einem geräumigen Geländewagen fragte, wohin ich denn müsste und ob ich Hilfe bräuchte. Ich nahm dankend an, der Koffer landete in seinem Kofferraum und er fuhr den langen Weg um die Wiese herum, die ich sonst hätte überqueren müssen. Derweil hatten wir Zeit, zu klären, was mich am Sonntag mit einem riesigen Koffer nach Firhouse brachte. Er bedauerte sehr, dass ich sein Land auf diese Weise kennen gelernt hatte, war aber auch beruhigt, dass ich andere Seiten kannte. Er drückte mir sein Mitleid aus, setzte mich direkt vor der Haustür ab und wünschte mir einen guten Rutsch ins neue Jahr, wie ich ihm auch.
Im Haus war es ruhig und erst vom lauten Klopfen her hörte ich, das Chris (mein polnischer Mitbewohner)  zuhause war, Adrian (mein Vermieter) hatte mir geschrieben, er müsse da sein und zur Not hätten auch die Nachbarn noch Schlüssel. Als ich Chris hinter dem Haus das Eis auf den kurzen Steinplatten zerklopfen sah, kam ich kurz raus und er begrüßte mich mit den Worten, dass ich doch recht früh zurück sei. Als ich ihm
erzählte, dass ich das Land nicht verlassen hatte, verzog er das Gesicht, als hätte er ein Loch im Zahn und meinte, er hätte so etwas geahnt, da es letztes Jahr schon das gleiche gewesen war. Wir redeten noch über die Unterschiede von Kontinentaleuropa und den Inseln und dann begab ich mich wieder in mein Zimmer, in dem schon mein Koffer stand. Nach zehn Minuten hatte ich bereits so viele Sachen im Raum verteilt, dass es so aussah, als sei ich nie weg gewesen, denn wie es jemand passend formuliert hatte, lag überall etwas herum. Da ich nicht vor hatte, in den nächsten Tagen noch in aller Eile einmal mehr zum Flughafen zu stürzen, konnte es meinetwegen auch so bleiben.
Die nächsten Tage verbrachte ich mit der Verarbeitung aller Eindrücke, die in der Zeit ohne Rückzugsraum
ein wenig zuviel gewesen war. Im Hotel hatte Thomas immer mal wieder für länger das Zimmer verlassen und somit hatte ich meinen Freiraum gehabt, aber das gleiche war es ja doch nicht. All die Menschen, die ich hatte kommen sehen, waren auch wieder gegangen, nicht zuletzt Götz, wobei dieser die Ausnahme bildete, mit Ricarda zusammen, denn die beiden waren schon vor mir am Flughafen gewesen. Aber beide waren weg gewesen vor mir. Ebenso die nette Französin (Alex), dann natürlich Thomas und nicht zuletzt Tehuia, eine mexikanisch-stämmige Schweizerin (oder zumindest lebte ihre Mutter in der Schweiz) und ihre Tochter Shivra. Tehuia war am Heiligabend von Cork nach Dublin gekommen, um in die Schweiz zu fliegen, nach vier Jahren erstmals wieder. Ihr Mann war in Cork geblieben und so konnte sie nach dem gestrichenen Flug trotzdem wieder nach Cork und dort den Weihnachtsabend mit ihrer Familie verbringen. Shivra antwortete eher auf deutsche Fragen als auf Englische, wurde aber von ihrer Mutter vor allem auf Spanisch angesprochen. Das kleine Mädchen im Streifenpulli, das dort saß und an einem Butterbrot kaute, während die lange Schlange sich auflöste und ihre Mama überlegte, was denn nun zu tun sei, schaute aus großen, strahlend blauen Augen zu mir auf, als ich mich hinsetzte, um auf Thomas zu warten. Ihre fast weißblonden Haare deuteten nicht auf mexikanische Wurzeln hin, aber das ein oder andere Wort, das schüchtern ihren Mund verließ, war Spanisch. Sie war recht lebhaft, nun aber mit dem Butterbrot beschäftigt und ganz ruhig. Ein wenig erinnerte sie mich an ein Kind, das Götz und ich am Dienstagabend gesehen hatten, ein sehr energisches und lebhaftes, dennoch in jeder Geste faszinierendes Kind mit sehr ruhigen Eltern, die nach Stockholm hatten fliegen wollen und einem kleinen Bruder, der eindeutig beeindruckt, jedoch ebenso ruhig war. Auch sie musste um die drei Jahre alt gewesen sein, hatte ein Engelsgesicht und blonde Haare, die dieses umrahmten. Die Eltern waren etwas skeptisch ob der Energie, wie es schien, währen Tehuia Tage später eine Spanische Antwort für jede Geste hatte. Als mir auch das andere kleine Mädchen einfiel, verschwand Shivra gerade in einem wunderbaren grobgestrickten Wollpulli. Als die beiden liebenswerten Menschen wieder eingepackt waren, gab mir Tehuia noch ihre Handynummer und ich versprach, sie zu kontaktieren, wenn ich in Cork landen sollte, wo nun auch Ricarda seit gestern wieder war. Scheinbar musste ich doch im Januar dann noch einmal nach Cork, nicht zuletzt, um Julius' Geburtstag mit ihm zu feiern.
Im Hotel hatte ich noch ein kleines Mädchen kennen gelernt, Emily. Sie war vier und hatte Deutsch-irische Eltern, die eigentlich nach Köln gewollt hatten und nun aber auch nicht weiter kamen als ich. Emily hatte dunkle Haare, war vier Jahre alt und hatte einen kleinen Bruder namens Finn, den ich in den folgenden Tagen auch noch sah. Ihre Familie wartete hier und wurde immer mal wieder interviewt von Fernsehen und Radio. Emily wusste nicht ganz, wo meine Heimatstädte waren, aber als ich meinte, es sei nicht weit von Berlin entfernt, erzählte sie, dass ihre Freundin in Berlin wohnte. Mich freute diese Aufgeschlossenheit, die mit allen Kindern kam und die im Hotel und am Flughafen einiges auflockerte, so auch kurz vor meiner Abreise, als ich den Fahrstuhl bestieg und mich vier Halbstarken gegenüber wiederfand. Sie mussten um die acht bis zehn Jahre alt sein, erinnerten mich (jeder einzelne von ihnen) an meinen Bruder und einer von ihnen wollte mir fröhliche Weihnachten wünschen, als ein anderer ihn verbesserte, weil ja schon der zweite Weihnachtsfeiertag war, und man dann in Irland „Happy St Stephen's Day“ sagte, statt „Happy/Merry Christmas“. Ich wünschte den Jungs auch einen schönen St Stephen's Day und war bald zum Flughafen unterwegs, von aus es dann endlich wieder nach Hause ging, das mich nun für weitere drei Wochen innehatte.
Als die ersten ERASMUS-Studenten aus den Weihnachtsferien wiederkamen, plante ich gerade meinen Jahresübergang in Castlebar, bei einer irischen Freundin, die mein Flugdesaster mit verfolgt hatte und mich eingeladen hatte. Nicht nur fühlte ich mich schon jetzt sehr herzlich aufgenommen von der irischen Familie, sondern es würde sicher auch ein Silvester, wie ich es niemals in Deutschland hätte haben können und so war ich gespannt auf weitere irische Transportmittel (es sollte mit dem Zug einmal quer über die Insel gehen) und auf mehr Landschaft. Castlebar liegt übrigens nördlich noch von Galway und im County Mayo, an der irischen Westküste. Neues dann von dort!

Samstag, 25. Dezember 2010

Update aus dem Carlton Hotel

Fröhliche Weihnachten an alle, die zuhause sind! Ich bin es leider nicht. Es wird wohl auch vor dem neuen Jahr nichts mehr, wenn ich mir die Preise im Internet ansehe. Die Tickets kosten verschieden viel, wenn sie überhaupt zu haben sind, hier einige Beispiele (jeweils nach Berlin):

Lufthansa, am Sonntag (26.12.):  567€ (über London und München, 8 h insgesamt)
oder 916€ (über London, insgesamt 7:50 h)

Ryanair, am Mittwoch (29.12.): 119,99€

Aer Lingus, am Donnerstag (30.12.): 119,99€

-Soweit der Stand um Mitternacht, 24./25.12., wer weiß, was nun schon weg ist. Heute (24.12.) war die Rede davon, noch nach Frankfurt zu kommen mit der Lufthansa, um die 700€, nachdem der Flug der Aer Lingus gestrichen war, deren Inkompetenz mich hier festhält. Wie ich aus Deutschland immer wieder erfahre, geht es dort. Es geht „irgendwie“, aber es geht. Man redet dort von Feldbetten auf dem Frankfurter Flughafen (in London-Heathrow ebenso) und manchmal von Getränken für Warteschlangen-Steher. Nichts dergleichen in Dublin. In Dublin wird von drei Enteisungsmaschinen im gesamten Flughafengelände geredet und von Passagieren, die stundenlang in Fliegern sitzen, ohne abzuheben, sondern das Flugzeug wieder verlassen müssen, weil es ohnehin nicht starten wird. Man redet von tausenden Menschen, die tagelang auf Flüge warten, von Menschen, die ihre Flüge vor der Fahrt zum Flughafen als „on time“ angezeigt sehen und die dann hier vor Tafeln stehen und sich fragen, was passiert ist. Nachdem der Flug heute gestrichen war und es für mich bereits der dritte dieser Art in dieser Woche (Dienstag-Freitag) war, gab es zwar ein dumpfes Gefühl im Magen, aber wenig später war es mir schon fast egal. Man merzt hier ganze Gemüter aus, wie mir scheint. Ich bildete eine Allianz mit einem weiteren Deutschen, der auch seit Mittwoch hier war und ebenso jeden Flug zu bekommen versuchte. Wir hatten schon überlegt, ob man heute Nacht noch von Frankfurt nach Berlin mit einem gemieteten Auto kommen konnte.
Aber soweit kam es nicht. Es kam dazu, dass wir wieder stundenlang in einer Schlange standen, neue Bekanntschaften machten, neue Geschichten hörten. Zur Information waren es noch ungefähr vier Stunden Wartezeit, als wir ankamen. Zwischen drin gingen wir immer mal wieder einen Tee holen, Thomas (der Alliierte) ging rauchen oder die Französin, die mit uns wartete (Alex), ging hier hin oder dort hin. Als wir ungefähr noch zwei Reihen von je 50 Metern von der Restschlange entfernt waren, war es bereits halb sieben, unser Flug wäre um 16:20 Uhr gegangen. Eine Durchsage kündigte an, dass die Information um sieben Uhr schließen würde, die Leute, die noch warteten (ungefähr 500 Menschen?), sollten sich einfach an einem anderen Desk anstellen und sich dort ein Hotelzimmer geben lassen. Es wurde gebuht und gepfiffen und leider war das aber bald vorbei. Etwas eher hatte man von den Schaltern der Ryanair schon Proteste gehört und das Polizeiaufgebot war in den letzten Tage deutlich gestiegen. Es war vollkommen klar, das hier etwas nicht stimmte, wenn man Thomas am Schalter im anderen Terminal, von wo aus der Flug hätte abgehen sollen, gesagt hatte, dass einfach keine Flugzeuge zur Verfügung standen, weil diese alle noch unterwegs waren (wo auch immer das der Fall sein sollte) und die offizielle Seite meinte, es läge immer noch an Schnee und Eis, auch wenn einige Flüge noch an diesem Abend abflogen, sogar zwei von ihnen der Linie Aer Lingus. Ich war nicht sicher, ob man auf diesen Flügen das Flugzeug hatte entführen müssen, aber ich sah Ungerechtigkeit denen gegenüber, die seit Tagen und teilweise mit Kindern darauf warteten, endlich nach Hause fliegen zu können. Es war für viele sicher anders geplant gewesen und auch ich hatte Weihnachten nun nicht nach Plan feiern können, man sagte mir auch immer wieder, dass ich daraus lernen würde, dass ich später sehen würde, wozu es gut war und dass manche Dinge aus einem bestimmten Grund heraus passierten. Als wir auf den Bus warteten, tauschten wir Deutschen (zu und hatten sich noch ein freier Journalist und ein weiterer junger Mann gesellt) noch abgedroschene Sprüche aus, wie zum Beispiel, dass die Hoffnung zuletzt stürbe und man aus jedem Tag etwas machen konnte. Wir verabredeten uns lose für den nächsten Tag, trafen uns aber nicht mehr und verblieben beim Emails schreiben. Einer der beiden fragte noch, ob ich am nächsten Tag im Flughafen sein würde, aber ich verneinte.

Am 25.12. versuchte ich erneut, meinen Flug oder auch einen der beiden Flüge umzubuchen, das Problem ergab sich nur eben bereits auf der Seite der Aer Lingus, weil dort eine Schleife entstand. Es gab genau zwei Seiten, die ich aufrufen konnte; auf der einen wählte ich aus, was genau ich an meiner Buchung ändern wollte und auf der anderen gab ich die Daten ein, die meiner Buchung zugehörig waren. Wollte ich mit dem Prozedere fortfahren, landete ich wieder auf der jeweils anderen Seite. Die Homepage funktionierte noch, aber auch nur bis zu einer dieser Seiten, was also nicht wirklich zu zählen war. Auch unermüdliche Versuche, die Seite neu zu laden, scheiterten, es sah also so aus, als müsste ich komplett neu buchen, was ich ich nicht einsah, bis man mir die anderen Kosten erstattet hatten, die sich mittlerweile auf mehr als 400€ belaufen mussten. In diesen Dimensionen mochte ich nicht denken, ich wollte einen Flug und nach Hause, mehr nicht. Ich wollte nicht zwei Tage im Hotel verbringen, wollte nicht bekocht werden von Leuten, die ich nicht kannte. Ich hatte mir das anders vorgestellt und die Rücksichtslosigkeit im Verhalten der Airline ärgerte mich sehr. Man nahm in dem Sinne keine Rücksicht auf andere, man bemühte sich, selbst heimzukommen und überließ die anderen sich selbst. Feldbetten wie in Frankfurt oder London-Heathrow würde es hier nicht geben. Man hatte in Dublin den Fluglinien überlassen, ob sie am ersten Weihnachtsfeiertag fliegen wollten, aber anscheinend wollte dies keiner in Kauf nehmen. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man bei Aer Lingus so viel Geld hatte, hunderte bis tausende Passagiere tagelang in Hotels unterzubringen, ich war mir nicht einmal sicher, in wie fern jegliche Informationen der Airline in den letzten Tagen tatsächlich wahr waren. Ich wusste nicht mehr, wie man an einen Flug kommen sollte, ich wusste nur, dass ich zwei weitere Flüge gebucht hatte, von denen einer von Berlin nach Dublin gehen würde, am 5. Januar, aber diesen würde ich wohl kaum brauchen. Was mir in diesem Fall einfiel, war, dass mein Pass bis 2012 gültig war und dass ich doch bis dahin einen Flug erwischt haben sollte. Die Bitterkeit, die dieser Gedanke mit sich brachte, war inzwischen an der Tagesordnung. Es war kein Kampf mehr um den nächsten Platz im Flugzeug, es war die Aussicht auf weitere Wochen in diesem Land und das unfreiwilliger Weise, genau das störte mich daran. Mir war die Freiheit genommen, die Insel zu verlassen und was ich dafür bekam, war ein müdes Lächeln, ein „I don't care!“ und ein Hotelzimmer, in dem ich zwar zwei Nächte schlief, das aber Weihnachten zu Hause nicht ersetzte.
 Ich hatte Weihnachten verpasst.
Ein Fest, dass natürlich jährlich stattfindet, aber das ich eingeplant hatte, mit einem Zeitpuffer für jegliche Treffen mit Freunden, die nun wohl auch bis nächstes Jahr warten mussten. Sicher war es kein Weltuntergang, aber wer bleibt denn Weihnachten auf dem Flughafen, wenn er das ändern könnte?! Ich hatte die Hoffnung, das Land bald und gern für immer verlassen zu können, aber erstmal hieß es abwarten und dem College erklären, warum das letzte Essay nicht zeitgemäß eingegangen war. Das Semester neigte sich ohnehin dem Ende, aber gut war es nicht verlaufen. So schlimm es teilweise erschienen war, so sehr hatte ich mich auf Weihnachten gefreut und so sehr hatte ich auch auf Besserung gehofft. Nun war mir das Warten geblieben, denn, wie mir eine Irin sagte, als ich eine Stunde auf einen Bus wartete, „in Irland hat man Zeit“.

Freitag, 24. Dezember 2010

Update vom Flughafen

Fröhliche Weihnachten, die Sonne scheint, -10°C sind es in Dublin und die Ortszeit ist kurz vor 12 und mein Kopf brummt, während mir auffältt, dass innerhalb des Flughafens mein Zeitgefühl umgehend verschwindet.
Ein französisches Frühstück (inklusive Französin am Tisch ;)) hat den Tag erstmal recht gut beginnen lassen, auch wenn ich nach dem Aufwachen den ersten Ohrwurm schnell wieder verdrängen wollte ("Have yourself a Merry Little Christmas", dahin geschnurrt von Frank Sinatra). Mit einem Ohrwurm ließ es sich nichtsdestotrotz aber besser starten, auch wenn das Zimmermädchen um zehn an der Tür klopfte, um aufzuräumen. Ich hatte gerade noch mit meiner Mutter telefoniert und war noch nicht angezogen, aber wenig später verließ ich erst den Raum und dann das Hotel in einem shuttle-Bus zum Flughafen, an dem ich gegen 10:45 wieder eintraf, diesmal stolperte ich aber in eine weniger große Masse, in der man auch recht schnell inklusive sämtlichen Gepäcks dort hingelangte, wo man hinwollte. Die Französin verließ mich bald, da ihr Flug eher ging und sie nach Paris wollte. Dort hatte sie Familie, wollte eigentlich noch weiter, würde aber auch dort bleiben können, da ihr Anschluss nicht funktionieren würde. Sie lächelte nett, ich sagte ihr, ich würde hoffen, sie hier nicht wieder zu sehen und sie lachte und meinte, wenn doch, dann würden wir eben weihnachten zusammen feiern.
Wieder einmal mehr kam mir das "Leben am Flughafen" (mein persönliches Unwort des Jahres!) vor, wie die ERASMUS-Erfahrungen, nur viel schnelllebiger (eiliger?) und in einer vollkommen anderen Dimension. Der Typ am Kaffestand hatte eine Weihnachtsmütze auf, so wie die letzten Tage auch schon und hatte heute aber besonders gute Laune. Hätte ich in der letzten Nacht nicht vernüntig und ausgestreckt schlafen können, hätte ich ihm das wohl nicht verziehen. Neben dem Blog-Schreiben wurde noch mit zwei Freunden (aus Berlin und Cottbus) gechattet und gehofft, am Morgen hatte ich schon von zwei Leipziger Freunden gehört und auch im Eintrag von gestern fand sich ein lieber Kommentar aus Leipzig. Ich freute mich ein wenig, hoffte wieder auf das beste und wurde nervös, weil es auf ein Uhr zu ging, die Zeit, zu der ich meinen Koffer für den Flug abgeben wollte. Der Kaffee wirkte nicht nur, er schien auch die gute Laune des Weihnachtsmützenkaffeestandtypen zu enthalten und das gab mir etwas mehr Kraft, wie auch die vielen guten Wünsche aus der Heimat.
Auf also in einen neuen Versuch! Let it be the last one, please!